Kennst du diese Videos, die auf Social Media kursieren – die, wo Mensch und Hund im Freilauf unterwegs sind und plötzlich die große Show beginnt? Da spaziert man gemütlich durch Wald oder Wiese, der Hund schnüffelt fröhlich vor sich hin, und dann – zack! – taucht ein Tier auf. Vielleicht ein flinkes Eichhörnchen, ein neugieriges Reh oder die unvermeidliche Nachbarskatze. Der Hund schaltet in den Raketenmodus, die Ohren flattern, die Beine wirbeln, und du als Besitzerin oder Besitzer stehst da, halb bewundernd, halb panisch.
Dann kommt der Moment der Wahrheit: ein messerscharfes „HIER!“, das durch die Luft schneidet wie ein Actionfilm-Kommando. Und siehe da, der Hund bremst, dreht ab und trottet zurück – oft begleitet von einem zuckersüßen „Jaaaa, soooo fein!“, als hätte er gerade den Nobelpreis für Gehorsam verdient.
Die Kamera fängt diesen glorreichen Augenblick ein, der Post geht online, und die Kommentare hageln: „Wow, was für eine Erziehung!“ oder „Dein Hund ist ja ein Star!“ Stolz-Level? Hollywood-reif.

Auf den ersten Blick wirkt das wie der ultimative Beweis für eine gelungene Hundeerziehung. Der Rückruf funktioniert, der Hund hört, die Harmonie ist perfekt – was will man mehr?
Aber wenn man mal ein bisschen genauer hinschaut, kommen doch ein paar Fragen auf. Wie sicher ist dieses System eigentlich im echten Leben, abseits der perfekt geschnittenen Videoclips? Denn seien wir ehrlich: So ein Freilauf ist kein Ponyhof (oder doch, aber nur für den Hund). Du als Mensch musst quasi mit Röntgenaugen durch die Gegend laufen, um jedes potenzielle Drama – sei es ein Wildtier, ein anderer Hund oder ein verlockend duftender Müllhaufen – vor deinem Vierbeiner zu entdecken.
Dein Job wird zum Frühwarnsystem mit Fell-Tracking-Funktion.
Und was passiert, wenn dein Hund irgendwann die Schwachstelle im Plan durchschaut? Wenn er merkt: „Moment mal, Rückruf hin oder her – die Action da draußen ist doch viel spannender, und die Leckerlis krieg ich sowieso, wenn ich irgendwann zurückschleiche“? Das könnte der Punkt sein, an dem die schöne Illusion vom perfekten Gehorsam wie ein Kartenhaus zusammenfällt.
Und dann gibt’s da noch diese spezielle Sorte Hund – du weißt schon, die Rebellen unter den Vierbeinern. Die, die genau dann Gas geben, wenn du eine Grenze setzt. Du sagst „Hierbleiben!“, und ihr Blick sagt: „Ach, echt jetzt? Na, dann erst recht!“ Weg sind sie, mit einem kleinen hämischen Schwanzwedeln, während du wie der letzte Kontrollfreak in der Botanik stehen bleibst.

Das hat doch fast etwas Menschliches, oder? Es erinnert mich an diese Leute – vielleicht waren wir das selbst mal –, die bei einem „Das darfst du nicht!“ erst recht den großen roten Knopf drücken, nur um zu sehen, was passiert. Psychologen nennen das wohl Reaktanz: der Drang, sich gegen Regeln aufzulehnen, einfach weil sie da sind. Und während dein Hund durchs Unterholz flitzt und dich mit einem Grinsen im Gesicht zurücklässt, denkst du dir: „Tja, vielleicht sind wir gar nicht so verschieden.“
Aber muss das so sein? Ist das wirklich die einzige Option – ein Leben, in dem du entweder zum Feldherrn mit Megafon wirst oder dich auf die Gnade deines Hundes verlässt? Ich glaube nicht. Denn wie schön wäre es, wenn dein Hund gar nicht erst in diesen Turbo-Modus schaltet? Wenn er bei einem Reh oder einem Hasen nicht denkt: „Jagdzeit!“, sondern: „Ach, das da? Interessiert mich nicht, ich bleib mal hier bei dir.“ Kein Stress, kein Gebrüll, einfach nur ein entspannter Vierbeiner, der von sich aus cool bleibt. Das wäre doch ein Traum, oder? Stell dir vor, du könntest durch den Wald schlendern, ohne dich wie ein Luftüberwachungsradar auf zwei Beinen zu fühlen. Ohne dieses ständige „Sitz, Platz, Hektik“-Theater, das so viele von uns aus der klassischen Hundeerziehung kennen. Stattdessen ein Hund, der selbst entscheidet: „Weißte, ich chill mal lieber.“
Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Aber es gibt Ansätze, die in die Richtung gehen – weg von der reinen Befehlskette, hin zu einer Beziehung, in der der Hund aus eigenem Antrieb mit dir kooperiert. Vielleicht liegt der Schlüssel darin, weniger auf Drill und mehr auf Verständnis zu setzen. Weniger „Du musst!“, mehr „Hey, lass uns das zusammen rocken“. Denn am Ende wollen wir doch alle dasselbe: einen Hund, der nicht nur hört, sondern mitdenkt – und uns nicht als Kontrollinstanz sieht, die man bei der nächsten Gelegenheit aushebelt. So ein Video würde ich mir mal ansehen: weniger Show, mehr Gelassenheit. Vielleicht nicht ganz so spektakulär wie der Raketenstart mit Happy End, aber dafür ein Stück echter, entspannter Hund-Mensch-Magie. Was meinst du?
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